Das erste Tape „Strange Orchestras“ und wie es dazu kam
Es war schon seltsam. Ein paar Jahre zuvor schlug Keith Emerson mit seinem Flügel einen Salto auf der Bühne und feuerte 2 Kanonen auf das Publikum ab, und plötzlich wurde die ganze Musik der 70er Jahre auf solchen Schwachsinn reduziert und über einen Kamm geschoren. All die genialen Bands, wie ich fand, wurden nur noch akzeptiert, wenn sie ein Drogenopfer vorzuweisen hatten. Von Velvet Underground hatte man zu dieser Zeit nur in den intellektuellen Kreisen der Kunstszene gehört. In Lampertheim, einer spießbürgerlichen Kleinstadt in Südhessen, wo ich herkam, waren sie kaum jemandem bekannt. Klar, Lou Reeds Solokarriere kannten wir. Doch bei „Heroin“ kamen die Junkies in unserer Clique immer so ins Schwärmen, als wollten sie sagen: „Du kleines Würstchen, was weißt du schon, von was er redet“. Und weil ich nie ein Junkie war und auch nicht werden wollte, war mir Lou Reed kein Vorbild. Ich kam vom Glam- & Hardrock. Marc Bolan hatte ich geliebt und mein Wunsch war es, so zu werden wie er. Doch schon im zarten Alter von 12 (1972) wurde mir von einem älteren Schulkollegen zu verstehen gegeben, dass die Musik von Marc Bolan Teenager Scheiße und kommerzieller Ausverkauf sei, das man Pink Floyd hören müsse, wenn man progressiv sein wolle. Also hörte ich eben Pink Floyd, und ich muss zugeben, dass „The Piper“, mein erstes Album was ich mir von ihnen kaufte weil es das Billigste war, mit „Astronomy Domine“ einen faszinierenden Opener enthielt, dessen Anfang ich bereits von einem Politikmagazin aus dem Fernsehen kannte. Dann studierte ich die Woodstockgeneration, all die Pioniere der späten 60er, und die progressiven Bands, vor allem aus England, wie Yes, Genesis, King Crimson, auch den Krautrock verehrte ich sehr. Ich entwickelte mich weiter Richtung Jazz, hörte zehn LPs hintereinander Keith Jarretts Klavierimprovisationen, trank aromatisierten Tee und las Hermann Hesse. Mit den gleichen Zwängen, die sich Siddhartha auferlegte, versuchte ich, in der Meditation die Erleuchtung zu finden. Nur war das leider kein Mittel, den Frust und den Hass gegen die Unterdrückung, die mir während meiner Landschaftsgärtnerlehre widerfahren war, los zu werden. Mit der Politband Ton Steine Scherben um den Sänger Rio Reiser kam der Aufruf zur totalen Rebellion. Sowieso war es wichtig, sich selbst zu verwirklichen und nicht wie ein Sklave von irgendwelchen Arschlöchern rumschikanieren zu lassen. „Keine Macht für Niemand“ war unser Leitspruch. Das machte Zorn in dieser vom Krieg geprägten Spießer-Gesellschaft und es wurde immer klarer, dass man sich eher der RAF anschließen wollte, als sich mit seiner Situation abzufinden. Doch dann verließ uns der Mut und wir fanden unsere Erlösung in den Drogen. Es war eine heftige Drogenzeit. Sie gehörten dazu wie das tägliche Brot. Freunde starben an Überdosen. Wir suchten weiter und fanden neue Leitfiguren. Joy Division überreizten mich mit den Todessehnsüchten des suizidgefährdeten Ian Curtis. Das war die neue Richtung! Eine Ausgeburt des Punk, welche sich New Wave nannte. Hatte der Punk letztendlich doch gesiegt? Obwohl ich in Joy Division nicht den Punk, sondern meine geliebten 70er wieder entdeckt sah, war er plötzlich da wie ein stinkendes Stück Dönerfleisch in den abgefuckten Städten, die ihn hervorbrachten. Nachdem ich den Umzug - raus aus dem idyllischen Lampertheim, rein in das Industrie-Ghetto Mannheim - mit meiner damaligem Freundin vollzogen hatte, wollte ich eigentlich das einzige Mal in meinem Leben bürgerlich werden. Doch es gab schnell Interessenskonflikte, sie hörte BAP, ich hörte immer noch meinen Peter Hammill, der mich so mitfühlend durch meine Drogenzeit begleitet hatte. Nachdem sie sich schnell von mir verabschiedet hatte und wieder in das Nest zurückging, wo sie her kam, fiel ich in ein tiefes Loch. Wollte ich gerade noch mit frisch geschnittenen Haaren bürgerlich werden, kam jetzt das Hirngespinst auf, direkt neben der stinkenden Schokoladenfabrik einen auf Dandy zu machen. Nena war jetzt groß im Geschäft und Yazoo, Dexy´s Midnight Runners, Michael Jackson und Totos „Rosanna“, es war schrecklich, eine vollkommen orientierungslose Zeit.
NORBERT SCHWEFEL |
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